Direkt zum Inhalt der Seite Direkt zur Hauptnavigation

Betroffene in unserem Netzwerk:Nierenkrank im Krieg

Fünf junge Ärzt:innen beraten sich hinter einer Glaswand.

Die Familie versteckte sich täglich stundenlang im Keller.

Der Verein NierenKinder Berlin-Brandenburg e.V. hat einen daramtischen Beitrag über ein betroffenes Kind mit akuten Nierenleiden geschrieben, das aus der Ukraine geflüchtet ist:

„Mein Kind ist kurz vor dem Nierenversagen und niemand versteht meinen Schmerz, weil alle gerade vor dem Krieg fliehen." Diesen Satz höre ich von Galina*, die mit ihren zwei Kindern und ihrer schwerbehinderten Mutter aus der Ukraine geflohen und in Berlin gelandet ist. Anfang Februar erkrankte ihr 12-jähriger Sohn Sascha* an COVID und lag drei Wochen im Krankenhaus. Dabei verschlechterte sich zunehmend seine Nierenfunktion. Er sollte in die Kindernephrologie verlegt werden, doch dann kam der Krieg. Am frühen Morgen des 24. Februar wurde die Stadt Tscherkassy von Explosionen geweckt: Der Flughafen wurde gebombt. Ab jetzt gab es immer wieder Flugalarm, Raketen flogen über die Stadt und die Familie versteckte sich täglich stundenlang im Keller. Die Krankenhäuser nahmen keine Patienten mehr auf, da Verwundete versorgt werden mussten. Auch Sascha wurde nicht weiter behandelt. Das kann so nicht weitergehen, dachte Galina, packte das Allerwichtigste ein und fuhr mit dem Zug Richtung Westen. Der Vater musste vor Ort bleiben, um die Stadt zu verteidigen. Sascha ging es sehr schlecht: Übelkeit, Erbrechen, Schwächeanfälle und bleierne Müdigkeit – Anzeichen, die wir von nierenkranken Kindern nur zu gut kennen. Galina kannte sich aber damit noch nicht aus, sie wusste nur, ihr Kind braucht medizinische Hilfe, und fuhr weiter weg von der Front in der Hoffnung, dass ihr Sohn irgendwo versorgt werden kann. In Lwiw (Lemberg) im Westen der Ukraine angekommen ging sie zuerst ins Kinderkrankenhaus. Die Menschenmenge vor dem Eingang verhieß nichts Gutes: Auch andere schwerkranke Kinder wurden aus ganz Ukraine hierhergebracht. Man sah ihnen ihre Leiden an, bei Sascha jedoch nicht. Also wurden sie nicht reingelassen. Als ein Arzt rauskam, versuchte Galina ihm die Lage zu erklären, doch er schrie sie an, sie soll weiter wegfahren, hier ist es schon zu voll. Zurück zum Bahnhof, der bereits von Hunderttausenden Flüchtlingen belagert wurde: Zwei Tage und Nächte stand die Familie draußen vor dem Bahnhof an, um in einen Zug nach Polen einzusteigen. Einer stand immer in der Schlange, um den Platz nicht zu verlieren, die anderen wärmten sich abwechselnd an einem Lagerfeuer. An Schlaf war nicht zu denken. Im Bahnhofgebäude und an Bahnsteigen spielten sich dramatische Szenen ab: Menschen schlugen sich, Gepäckstücke wurden hin und hergeworfen, immer wieder wurden Warnschüsse abgefeuert. Militärs ließen nur Frauen mit Babys einsteigen. Sascha und sein Bruder waren zu groß, um Mitleid zu erregen. Galina ging zu den Sanitätern und erklärte Saschas Lage. Die Mediziner begriffen die Not und schleusten die Familie in einen Zug ein.

 

Logo BMG


Die Zugfahrt dauerte mehrere Tage, meistens im Stehen, dicht an dicht, ohne Schlaf, ohne Zugang zu Toiletten, ständig begleitet vom lauten Kindergeschrei. Die Familie stieg mehrfach um, ohne genau zu wissen, wohin man eigentlich fährt. Am 8. März stiegen sie in Berlin aus. Ein deutsches Pärchen sah der Mutter die Strapazen an und nahm sie für einige Zeit auf. Als erstes ging es in die Notaufnahme der Vivantes-Klinik, um Saschas Zustand zu klären. Dort hieß es, der Zustand sei ernst, den Fall sollen Kinder-Nephrologen übernehmen, und die gibt es nur im Virchow. Dort braucht man einen Termin und eine Krankenversicherung. Und dafür braucht man eine Registrierung und eine Meldung beim Sozialamt. Doch die Voraussetzung dafür ist eine dauerhafte Unterkunft in Berlin. Zu viele Probleme auf einmal für eine Mutter, die ohne Geld und ohne Sprachkenntnisse allein mit ihren Kindern und ihrer Mutter in Berlin ist. Es vergingen weitere vier Wochen, bis einige Fragen geklärt wurden und ich die Familie im KfH der Charité persönlich kennenlernte. Ich übersetzte ein Gespräch mit einer Ärztin, bei dem ich selbst andauernd Tränen unterdrücken musste: Es ist zu spät, die Nieren sind einfach zu schwach. Sascha muss auf die Dialyse oder Transplantation vorbereitet werden. Sascha saß wie versteinert. Galina stand unter Schock. Sie ist bereit, ihre Niere zu spenden, doch ob sie passt, müssen Untersuchungen zeigen. Die Charité kann damit aber erst beginnen, wenn die Frage der Krankenversicherung und der dauerhaften Unterkunft gelöst ist. Zu viele Aber. Zu viele Probleme für jemanden, der alles verloren hat und jetzt zwar in Sicherheit ist, und trotzdem ums Überleben kämpfen muss. Unser Verein versucht weiterzuhelfen, Schritt für Schritt: Die Sozialhilfe und die Versicherung zu beantragen, Schulplätze zu organisieren, Arzttermine zu koordinieren.

Doch das größte Problem ist die Unterkunft: Ohne dauerhafte Bleibe gibt es kein zuständiges Sozialamt, keine Versicherung und damit kann die Vorbereitung auf die Transplantation nicht starten. Wir suchen nach einer Wohnung, für die ein Mietvertrag abgeschlossen werden kann. Die Miete würde das Sozialamt übernehmen. Wenn uns jemand damit helfen kann – sei es auch mit einem Tipp – wären wir sehr dankbar. „Nur ihr versteht mich," sagt Galina zu mir immer wieder. „Meine Landsleute sind zu sehr mit dem Krieg beschäftigt. Wen interessieren schon Nieren, wer versteht überhaupt, was Dialyse für ein Kind bedeutet? Zwei Schicksalsschläge auf einmal ist einfach zu viel."


*Alle Namen wurden auf Wunsch der Familie geändert.

Wenn Sie helfen wollen, wenden Sie sich bitte an:

NierenKinder Berlin-Brandenburg e.V. (Vors. Christiane Cobien), Schmidt-Knobelsdorf-Str. 32b, 13581 Berlin Spendenkonto: KD Bank, IBAN: DE84 3506 0190 1567 7180 22, BIC: GENODED1DKD

Tauschen Sie sich mit anderen betroffenen Eltern von Kindern mit Nierenkrankheiten in der Facebookgruppe aus: facebook.com/groups/nierenkinderberlin