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Thinktank: Nicht ohne uns! Für ein Inklusives SGB VIII

2 Kinder in Superheldenkostümen. Darunter steht "Inklusives Kinder- und Jugendhilfegesetz" aus der Perspektive der Selbsthilfe diskutieren.

Derzeit bereitet das Bundesfamilienministerium einen Reformprozess für ein inklusives Kinder- und Jugendhilfegesetz vor. Dieses Gesetz betrifft alle Kinder! 
Insbesondere für Kinder mit Behinderungen und ihre Familien wird sich dadurch Vieles ändern, denn dann geht die Zuständigkeit für alle Leistungen, die die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen und ihre Familien betreffen und bislang in die Zuständigkeit der Eingliederungshilfe fallen, in die Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe über (sog. „inklusive Lösung“). Bisher sind diese im Gesetz zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verortet.

Der knw-ThinkTank – miteinander denken, diskutieren, austauschen!


Um das wertvolle Wissen der Familien chronisch kranker und behinderter Kinder und Jugendlicher in den Gesetzesreform-Prozess einzubringen, setzt das Kindernetzwerk als Selbsthilfe-Dachverband das Projekt „ThinkTank: Inklusives Kinder- und Jugendhilfegesetz aus Perspektive der Selbsthilfe“ um. Im ThinkTank, einem virtuellen Forum, können sich die Selbsthilfeorganisationen dazu austauschen, was aus ihrer Sicht bei der Gesetzesreform unbedingt beachtet werden muss, damit Kinder mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen künftig bestmöglich am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Die Selbsthilfestrukturen erhalten alle wesentlichen Informationen zum Thema und können eine Haltung dazu finden, was die vorgeschlagenen Änderungen an den gesetzlichen Regelungen ganz konkret für die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien bedeuten. 

Aktuelles aus dem ThinkTank

In insgesamt fünf online-Terminen beschäftigte sich der ThinkTank vertiefend mit unterschiedlichen Themen, die das Leben eines Kindes, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung oder den Alltag ihrer Familien betreffen. Um auch jungen Menschen einen eigenen Raum für den Austausch ihrer Gedanken und Selbsterfahrungen zu geben, fanden zusätzlich zwei online-Workshops für die Junge Selbsthilfe statt.

Zwei Fragen standen dabei im Zentrum der Diskussionen:

> Was läuft bereits gut und soll auch nach einem Zuständigkeitswechsel zur Kinder- und Jugendhilfe erhalten bleiben?

> Was muss sich aus Sicht der Familien und der betroffenen jungen Menschen noch verbessern?

Rausgekommen ist ein bunter Blumenstrauß an Hinweisen, was in der Realität noch nicht so gut läuft und welche Zukunftsvisionen die Familien haben. Die Diskussionsinhalte wurden auf einer digitalen Pinnwand, einem sogenannten Padlet, dokumentiert. Über folgenden Link finden Sie  das Padlet mit den Ergebnissen dieses großangelegten Partizipationsprozesses:

https://padlet.com/Kindernetzwerk/impulse-aus-der-selbsthilfe-337s10dnxf34n1xz

Die Rückmeldungen aus dem ThinkTank zeigen: Mit einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe werden Hoffnungen aber auch Ängste verbunden, denn die Realität ist noch weit von einer inklusiven Gesellschaft entfernt.

Das Abschlussdokument zur Arbeit des Think Tanks ist in voller Länge hier abrufbar.

Breite Beteiligung bei der Auftaktveranstaltung!

Bereits am 16. Mai hat das Kindernetzwerk e.V. (knw) die Selbsthilfeorganisationen von Familien, die mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen oder chronischer Erkrankung leben sowie die Junge Selbsthilfe, zur Auftaktveranstaltung des ThinkTanks „Inklusives Kinder- und Jugendhilfegesetz aus Perspektive der Selbsthilfe“ eingeladen. Die über 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten, welche Bedeutung die zu erwartenden rechtlichen Änderungen für sie haben werden und wie sie ihre Themen in den Gesetzesentwicklungsprozess einbringen können. „Der ThinkTank ist wie eine gemeinsame Reise in ein unbekanntes Land, zu der wir uns heute alle verabredet haben,“ beschreibt Susanne Schrödel, stellvertretende. Vorsitzende des Kindernetzwerks, das Vorhaben. „Politische Beteiligung ist nicht unser Tagesgeschäft als Familien, aber unser gemeinsames Ziel ist es etwas zu bewegen und die Perspektive von Familien mit chronisch kranken und behinderten Kindern in den Gesetzentwicklungsprozess einzubringen.“ 

Nach diesem Einstieg fasste die Rechtswissenschaftlerin Dr. Lydia Schönecker von SOCLES die komplizierte Sachlage rund um das Gesetzesreformvorhaben zusammen. Im Anschluss schilderte Kerstin Held, Vorsitzende des Bundesverbands behinderter Pflegekinder e.V. (BbP) aus ihrer Perspektive als Pflegemutter von Kindern mit unterschiedlichen Behinderungen und teils schweren chronischen Erkrankungen, ihre Sicht auf die Entwicklungen rund um ein inklusives Kinder- und Jugendhilfegesetz. „Wir Familien wollen Inklusion und wir wollen, dass unsere Kinder in erster Linie als Kinder wahrgenommen werden“, sagt sie, „aber ein Inklusives Kinder- und Jugendhilfegesetz kann nur dann gelingen, wenn auch die vielen Herausforderungen im Alltag von uns Familien gesehen werden. Der Gesetzgeber braucht unsere Geschichten, weil man die Lebenswirklichkeit der Familien noch nicht kennt.“ Bisher komme es oft zu Problemen, wenn Familien mit behinderten Kindern Unterstützung beantragen wollen, weil die Eingliederungshilfe bisher nicht auf die Lebensphase der Kindheit ausgerichtet ist, die Jugendhilfe aber noch nicht um die behinderungsbedingten Besonderheiten kindlichen Aufwachsens weiß. 

Dass die Perspektive der Betroffenen wichtig ist, bestätigte auch Dr. Heike Schmid-Obkirchner, Referatsgruppenleiterin für Kinderschutz und Kinderrechte aus dem Bundesfamilienministerium. Sie erläuterte den Beteiligungsprozess „Gemeinsam zum Ziel: Wir gestalten die Inklusive Kinder- und Jugendhilfe!“ mit seinen aktuellen Diskussionssträngen. Dort beraten Expertinnen und Experten aus Bund, Ländern und Kommunen, Fachverbänden der Kinder- und Jugendhilfe, Behinderten- und Gesundheitshilfe, aus Forschung und Wissenschaft wie ein inklusives Kinder- und Jugendhilfegesetz ausgestaltet werden könnte. „Wir möchten die Lebenssituation von Kindern mit Behinderung und von ihren Familien verbessern, durch die Zusammenführung der Zuständigkeiten unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe“ sagt Schmid-Obkirchner. „Wir müssen ihre Geschichten kennen, und wir müssen wissen, wie ihre Lebenswirklichkeit ausschaut. Wir können nicht jeden Wunsch erfüllen, aber wir müssen wissen, wo der Schuh drückt, wo Hürden bestehen, wo Schwierigkeiten bestehen, weil wir ja die Situation verbessern wollen. Und dafür müssen wir ihre Situation kennen.“ Das Familienministerium hat daher einen Selbstvertretungsrat eingerichtet, der Vorschläge zur Beteiligung von Expertinnen und Experten in eigener Sache macht. Auch der ThinkTank ist eingeladen Stellung zu nehmen. Durch die Bündelung der Stimmen im ThinkTank können die Familien aktiv auf den Beteiligungsprozess zur Gesetzgebung einwirken. 

Im zweiten Teil der Veranstaltung diskutierten die Teilnehmenden in vier Gruppen zu den Fragen, was sich für die Familien durch die Gesetzesreform verbessern soll, was bereits jetzt gut läuft und erhalten bleiben sollte, und was auf keinen Fall passieren darf. Es wurde auf die bestehenden Diskrepanzen zwischen Gesetzesanspruch und Realität in der Lebenswirklichkeit der Familien verwiesen und auf die Heterogenität der Bedarfslagen aufmerksam gemacht. Beschrieben wurden auch unterschiedliche Teilhabebarrieren und Sorgen. Häufig genannte Themen waren der immense bürokratische Aufwand bei der Beantragung von Leistungen und der Wunsch nach einer Beteiligung der Familien als Expert:innen für die eigene Lebenswirklichkeit auf Augenhöhe.

Der Bundesbeteiligungsprozess

Das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) hat 2022 den Beteiligungsprozess „Gemeinsam zum Ziel: Wir gestalten die Inklusive Kinder- und Jugendhilfe!“ begonnen, in dem fachlich diskutiert wird, wie die inklusive Lösung rechtlich ausgestaltet werden kann. Der Bundesbeteiligungsprozess des BMFSFJ gliedert sich in drei Bereiche:

>  In der Bundesarbeitsgruppe „Inklusives SGB VIII“ wird mit der Fachöffentlichkeit diskutiert, wie die inklusive Lösung ausgestaltet werden kann.
>  Ein Selbstvertretungsrat soll sicherstellen, dass junge Menschen und ihre Familien an dem Entwicklungsprozess beteiligt werden.
>  Ein wissenschaftliches Kuratorium stellt sicher, dass alle wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse einbezogen werden können.


Die Ergebnisse dieses Beteiligungsprozesses dienen als Grundlage für das geplante Bundesgesetz zur Umsetzung der inklusiven Lösung. Dieses soll laut Koalitionsvertrag bereits 2025 in Kraft treten. Es bleibt also nur wenig Zeit, um die heterogenen Bedarfslagen von Kindern mit Behinderungen und ihren Familien in den Gesetzgebungsprozess einzubringen. Link zum Bundesbeteiligungsprozess ...


Wir wollen, dass schon im Gesetzesentwurf berücksichtigt wird, wie der Alltag von Familien mit einem chronisch kranken und behinderten Kind aussieht und welche Unterstützung diese sich wünschen. Daher ist das Kindernetzwerk als Dachverband der Selbsthilfe für Familien mit chronisch kranken und behinderten Kindern zum einen im Selbstvertretungsrat des Ministeriums engagiert. Mit unserem ThinkTank stellen wir darüber hinaus einen Denkraum für den Austausch der Selbsthilfe untereinander zur Verfügung. Damit wollen wir sicherstellen, dass die Bedürfnisse unseres heterogenen Personenkreises ausreichend in den kommenden politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Wir wollen die Bedarfslagen und alltagsweltlichen Erfahrungen der Familien bündeln und in den Gesetzesprozess einfließen lassen. Geschlossen sind wir stark und machen uns bemerkbar!