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Hörgeräte nicht nur für EinzelgesprächeBei wesentlichem Gebrauchsvorteil muss Kasse mehr als Festpreis zahlen

Gerichtsstatue vor grünem Hintergrund.

Celle. Bietet ein Hörgerät für gegenüber kostengünstigeren Alternativen einen „wesentlichen Gebrauchsvorteil“, können Hörgeschädigte als Behinderungsausgleich eine Kostenerstattung auch über dem Festpreis verlangen. Das stellte das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle in einem inzwischen schriftlich veröffentlichten Urteil vom 15. Mai 2019 klar. Ein „wesentlicher Gebrauchsvorteil“ kann danach etwa das deutlich bessere Hören und Verstehen in großen Räumen oder bei störenden Nebengeräuschen sein.
 
Damit stehen dem klagenden Maurermeister neben den bereits zugesagten 1.594 Euro für zwei Hörgeräte weitere 2.803 Euro von seiner Krankenkasse zu. Bei dem Mann wurde 2007 eine beidseitige Schallempfindungsstörung diagnostiziert. Damit er seinen Beruf ausüben kann, hatte die Deutsche Rentenversicherung ihm als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und als Hilfsmittel am Arbeitsplatz zwei Hörgeräte bewilligt.
 
Doch als sich sein Hörvermögen weiter verschlechterte, beantragte er bei dem Rentenversicherungsträger 2014 zwei neue Hörhilfen. Er benötige diese, um auch in großen Räumen und beim Telefonieren besser Hören und Verstehen zu können.
 
Der Rentenversicherungsträger hielt sich nicht mehr für zuständig und leitete den Antrag des Maurermeisters an seine Krankenkasse weiter.
 
Die beigeladene Krankenkasse genehmigte zwar die Kostenübernahme für eine beidseitige Hörgeräteversorgung in Höhe von 1.614 Euro abzüglich eines Eigenanteils von 20 Euro. Über diesem Festpreis liegende Kosten könnten aber nicht übernommen werden. Er könne mit entsprechenden Hörgeräten im direkten Einzelgespräch alles gut verstehen. Dies sei ausreichend.
 
Der Maurermeister zog vor Gericht und erklärte, dass sein Hörvermögen sich verschlechtert habe, seine lärmbelasteten Arbeitsbedingungen aber gleich geblieben seien. Von der Rentenversicherung, hilfsweise von seiner Krankenkasse forderte er die Versorgung mit zwei konkreten, über dem Festbetrag liegenden Hörgeräten. Mit diesen könne er viel besser in großen Räumen hören, störende Rückkoppelungseffekte gebe es nicht. Auch das für seinen Beruf erforderliche Telefonieren sei viel besser möglich als mit den günstigeren Geräten.
 
Das LSG gab ihm nun recht und verurteilte die beigeladene Krankenkasse zur vollen Übernahme auch der über dem Festpreis liegenden Hörgerätekosten. Die Krankenkasse sei zum unmittelbaren Behinderungsausgleich verpflichtet. Eine von der Kasse zu gewährende „notwendige Versorgung“ bedeute nicht, dass Hörgeräte lediglich Einzelgespräche unter direkter Ansprache gewährleisten sollen. Im Rahmen des Möglichen müsse auch das Hören und Verstehen in großen Räumen und bei störenden Nebengeräuschen eröffnet werden.
 
Da der Kläger diese Hördefizite sowohl im Privat als auch im Berufsleben habe, sei hier die Krankenkasse und nicht der Rentenversicherungsträger für die Hörgeräteversorgung zuständig. Der Maurermeister habe glaubhaft dargelegt, dass die höherwertigen und teureren Hörgeräte seine Hörbehinderung viel besser ausgleichen. Die Celler Richter rügten außerdem, dass die Krankenkasse nur auf den Festbetrag verwiesen hatte, ohne den Kläger jedoch über die mögliche Hörgeräteversorgung beraten zu haben.
 
Bereits am 17. Dezember 2009 hatte auch das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel geurteilt, dass Krankenkassen und Rentenversicherung Hörbehinderte nicht pauschal auf die Festpreise verweisen dürfen (Az.: B 3 KR 20/08 R). Festpreise seien zwar zulässig, sie müssten dann aber so hoch sein, dass sie für einen wirklichen Behinderungsausgleich ausreichen.
 
Am 30. Oktober 2014 erleichterte das BSG zudem die Antragstellung und verhinderte, dass Hörbehinderte nicht zwischen die Mühlen unterschiedlicher Leistungsträger geraten (Az.: B 5 R 8/14 R). Danach gilt die Abgabe der Hörgeräteverordnung beim Akustiker bereits als umfassender Leistungsantrag. Wer dann tatsächlich zuständig ist, Krankenkasse oder Rentenversicherung, müssen diese dann unter sich ausmachen.
 
Urteil des Landessozialgerichts NiedersachsenBremen vom 15. Mai 2019, Az.: L 2 R 237/17