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Bundessozialgericht in Kassel entschied:Merkzeichen „blind“ nur bei organischer Störung

Gerichtsstatue vor grünem Hintergrund.

Kassel. Das Behinderungs-Merkzeichen „blind“ und damit in fast allen Bundesländern auch das Blindengeld setzt eine Störung des Sehapparats voraus. Das hat am 24. Oktober 2019 das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschieden.
 
Vor Gericht war ein heute zwölfjähriges Mädchen aus Ostfriesland gezogen. Sie ist seit ihrer Geburt an einer erblichen Stoffwechselstörung (nichtketotische Hyperglycinämie) erkrankt. Diese geht mit einer Bewusstseinsverminderung, Muskelschlaffheit und einher, auch kann ihr Gehirn Sehreize nicht differenziert verarbeiten. Sie ist zu 100 Prozent schwerbehindert und mit dem Pflegegrad 5 eingestuft.
 
In ihrem Behindertenausweise sind mehrere Merkzeichen eingetragen. Den Eintrag des Merkzeichens „Bl“ für „blind“ lehnte das Land Niedersachsen aber ab, weil der Sehapparat nicht geschädigt sei. Die Sehstörung sei wohl nur auf die Stoffwechselerkrankung zurückzuführen.
 
Die Klägerin verwies dagegen auf ein Urteil des BSG vom 11. August 2015 (Az.: B 9 BL 1/14 R). Darin hatten die obersten Sozialrichter entschieden, dass für einen Anspruch auf bayerisches Landesblindengeld Sehbehinderte auch dann als „blind“ gelten können, wenn allgemeine hirnorganische Störungen zu einer fehlerhaften Verarbeitung von Sinnesreizen führen und andere Sinnesorgane gleichermaßen betroffen sind.
 
Doch der dort zugrunde gelegte Blindheitsbegriff ist bei der Erteilung des Merkzeichens „Bl“ für „blind“ nicht anzuwenden, urteilte nun das BSG. Das Land Bayern hatte in seinen Vorschriften für den Anspruch auf das Landesblindengeld unter „Blindheit“ auch Sehstörungen einbezogen, die auf beliebige hirnorganische Störungen zurückgehen.
 
Bei der Erteilung des Merkzeichens „Bl“ gelte jedoch die bundesweite Versorgungsmedizin-Verordnung. Diese erfasse die Behinderungsmerkmale „unter ausschließlich medizinischen Gesichtspunkten getrennt nach Organ und Funktionseinheiten“. Blindheit müsse danach auf eine Störung des Sehapparates zurückzuführen sein.
 
Der weitergehende Blindheitsbegriff für das bayerische Landesblindengeld gelte hier nicht. In den anderen Bundesländern kann danach dagegen das Merkzeichen „Bl“ weiterhin als Voraussetzung für das jeweilige Blindengeld gelten.
 
Zum „Sehapparat“ gehöre allerdings auch die sogenannte Sehrinde, quasi eine Art Leinwand für die Sehreize am rückwärtigen Rand des Gehirns. Den konkreten Fall verwiesen die obersten Sozialrichter daher an das Landessozialgericht NiedersachsenBremen in Celle zurück. Es soll prüfen, ob die Sehstörung des Mädchens vielleicht auf einen Ausfall der Sehrinde zurückzuführen ist. Bei einer solchen „Rindenblindheit“ stehe ihr das Merkzeichen „Bl“ zu.

Urteil des Bundessozialgerichts vom 24. Oktober 2019, B 9 SB 1/18 R